Mit Petr Koudelka über die Umdichtung von Libretti und die Musikedition, die dank des Festivals dieses Jahr entsteht

24. 7. 2023

Petr KoudelkaEin Werk von bleibender Bedeutung, das im Rahmen des diesjährigen festivals Quinauer Musikfesttage entsteht, ist die Erstausgabe der Sechs Lieder mit Klavierbegleitung von Johann Josef Rösler (1771-1812) mit deutschen und tschechischen Texten. Diese Lieder werden auch am 25. August um 19 Uhr beim Eröffnungskonzert mit dem Titel "WEISHEIT ODER TORHEIT?" (im Tschechischen Weise oder nur so?), benannt nach dem gleichnamigen Gedicht von Christian Felix Weisse (1726-1804), einem Vertreter der deutschen Aufklärung, der mit diesem Festival wieder in die Heimat zurückkehrt: Er war im sächsischen Erzgebirge geboren, in Annaberg, in der Luftlinie vielleicht 25 Kilometer von den böhmischen Erzgebirgsorten Blatno und Quinau entfernt.

Auch Johann Wolfgang Goethe ist unter den Dichtern, deren Werke von Johann Joseph Rösler vertont wurden und in Blatno zu hören sind. „Wer sich der Einsamkeit ergibt / Ach! Der ist bald allein“, setzt das „Lied des Harfners“ an, das dem 1795 erschienenen Roman Wilhelm Meisters Lehrjahre entnommen ist. In der Übersetzung des Dichters, Schriftstellers, Regisseurs und Drehbuchautors Petr Koudelka, der unserem Publikum aus dem 2022 veröffentlichten "Erinnerungen an die Schöpfung" bekannt ist, lauten die ersten Worte des Liedes:

sechs gesange

 Kdo sám na moře vypluje,
měl by se lidí bát?
Ať žije ten, kdo miluje!
Mám svou samotu rád.

oder zurück ins Deutsche übersetzt:

Wer allein auf dem Meer segelt,
sollte Angst vor Menschen haben?
Es lebe der, der liebt!

Ich liebe meine Einsamkeit.

Wie ein poetischer Text überhaupt entsteht, dessen Silbenzahl dem deutschen Original entsprechen muss und dessen Akzente und Worttrennungen gut zur Musik passen müssen, habe ich direkt den Dichter Petr Koudelka gefragt. Und wie unterscheidet sich dieser Prozess von der normalen literarischen Autor-Arbeit?

"Der Prozess muss genauso frei sein wie die eigene Poesie zu schreiben. Das Wichtigste ist die Handlung oder die Idee des Originalgedichts, mit der man sich identifiziert und eine Parallele von eigener Bedeutung herstellt. Man schreibt ein neues Gedicht. Dann muss man nur noch die Details kontrollieren - Silben, Akzente usw. Der erste Schritt ist Kunst, der zweite ist harte Arbeit.

Wie haben Ihnen die Texte gefallen, die Rösler zur Vertonung ausgewählt hat, welcher ist Ihr Favorit? Welcher Text war am schwierigsten umzuschreiben?

"Die Texte, die Rösler mit viel Feingefühl ausgewählt hat, sind brillant und bedeutungsvoll, sogar ja existenziell. Deshalb lagen sie mir am Herzen und haben mich begeistert. Das schwierigste Gedicht war Am Aschermittwoch, weil ich nicht in Depressionen verfallen wollte. Und auch Der Wald, der nicht nur textlich quälend war, sondern auch zur Frivolität verleitete. Mein Favorit war das philosophische Leben ist der Welle gleich und das tief emotionale Auf das erste Veilchen.

Neben Goethe die interessanteste Figur dieser von Rösler vertonten Dichter ist wohl Charlotte von Stein (1743-1827), eine Zeitgenossin des Weimarer Dichterfürsten, mit dem sie eine tiefe, lange, auch schöpferische Freundschaft verband. Neben Goethe soll auch Schiller, so heißt es in der Literaturgeschichte, von der um einige Jahre älteren Charlotte von Stein beeinflusst worden sein, die jahrzehntelang als Hofdame in Weimer lebte.

Humoristisch, elegisch, trist-melancholisch sind die von Rösler vertonten Gedichte, von freudigen Gedanken an die Natur wie von Todesahnung durchdrungen, voller Lebensfreude und voller Todeserwartung. Autoren sind neben den schon erwähnten Christian Felix Weisse, Goethe und der adeligen Charlotte von Stein noch Karl Christian Friedrich Maisch (1779-1833) und Johann Georg Jacobi (1740-1814). Während der in Baden-Württemberg geborene Maisch als evangelischer Pfarrer wirkte und Texte außer zu Liedern auch zu Chorälen geschrieben hat, entstammte Johann Georg Jacobi dagegen einer wohlhabenden jüdischen Familie aus dem Rheinland.

Die von Rösler vertonten Lieder sind in verschiedenen Editionen und populären "Poesie Zeitschriften", Musenalmanache genannt,  zwischen 1772 und 1800 erschienen.

Wolftraud de Concini