Ex libris von Veit Sebastian Laurentianus
Der diesjährige Blog wirft einen Blick in das Familienarchiv des barocken Bürgers Veit Sebastian Laurentianus / Vít Šebestián Vavřinecky. Darin finden wir Briefe, Memoiren und Tagebucheinträge nicht nur von ihm, sondern auch von seinen Familienmitgliedern und Bediensteten. Einige sind auf Tschechisch, andere auf Deutsch geschrieben, so dass Sie sie im Original oder in der Übersetzung lesen können. Wie zum Beispiel ein Brief des Kaufmanns František Korbíček an seine Tochter Markéta von seiner Englandreise im Sommer 1717, wo er eine Aufführung von Händels Oper Rinaldo besuchte und auf dem Bürgersteig mit einem eiligen Herrn mit roter Baskenmütze zusammenstieß.
Können Sie erraten, welche dieser Briefe echt sind und welche vielleicht nur kunstvoll von einem zeitgenössischen Autor nachgeahmt wurden, der Ihnen Details aus dem Leben der Komponisten des diesjährigen Festivals vermitteln wollte?
Über Giovanni Bononcini*
Brief von L. Vejška an seinen Freund nach Wien, erste Hälfte des 18. Jhdts.:
Böhmische Anekdote über J. G. Müthel
Wie ein Schüler in Leipzig ein Klavier zum glühen brachte
Vor vielen Jahren, als der alte Musikmeister noch in Leipzig lebte, nahm er seinen letzten Schüler in die Lehre, weil er großes Geschick in ihm sah. Nach etwa zwei Wochen in der Lehre habe sie sich überworfen, weil der Schüler nicht gut geübt hatte, und der alte Meister warf ihn aus dem Zimmer, er solle wiederkommen, wenn er richtig die Musik oder Komposition könne. Es geschah am Nachmittag, sodass der Schüler erst am Abend nach Hause kam, man sagt er nahm keinen Bissen zu sich, sondern ging zu seinem Klavier und spielte, so viel er konnte.
Marianische Kantaten von 1707
Lasse deine Frau und deine Kinder von mir grüßen, und sei gewiss, dass ich oft an dich denke, in der Hoffnung auf deine Gesundheit, deinen Frohsinn und dein Wohlergehen, wenigstens halb so viel wie ich hier im italienischen Lande. Meine Reise hat bereits das letzte Ziel meiner Wallfahrt erreicht, und ich habe keine Worte, um dir zu sagen, wie himmlisch diese Gegend und diese Stadt sind. Die ewige Stadt des Ruhms ist Roma, wie man zu italiano sagt. Aber wenn ich meine Augen von der weltlichen Pracht abwende, möchte ich dir, dir allein, von der Nahrung des Geistes erzählen, die ich hier erfahren habe.
Charles Burney1 über Florian Gassmann
Er setzte mich in große Verwunderung mit einer Menge von Fugen und Chören, die er mir zeigte und die er als Übungsstücke gemacht hatte. Einige davon waren in zwei oder drei verschiedene Taktarten, komponiert; und unterschiedliche davon, sagte er, hätte der Kaiser gespielt.
Über Florian Leopold Gassman1 und Liebesbratsche2
Es ist üblich, dass gute Herren und Damen belieben in den erlesensten Treffen des Tages sich zu unterhalten oder sich zum Genuss von jüngst gedruckter Musik zu versammeln. Nur zwei Wochen nach der Premiere der Oper im Burgtheater, die L'amore artigiano – die Handwerksliebe heißt, fand ich in dem großzügigen Hause von Frau Cath. Gesellschaft, für die ich nach Brünn und weiter westlich Richtung Österreich fahren musste. Die Leute schienen nur Freunde der Gastgeberin zu sein, mich nicht ausgenommen.
Händels Königinnen als Rivalinnen
Auszug aus den allegorisch-satirischen Memoir von Johann Adam Meyerling, einem Pfarrer aus der Prager Neustadt (Kleinseite), über das zeitgenössische Musikleben am Beispiel von Francesca Cuzzoni und Faustina Bordoni aus dem Jahre 1728.
Über die musische Kunst, oder Lagerung des Hennenkriegs
Man sagt, dass musica dolorem curat ,(Musik helit den Schmerz) oder musica vincit omnia,(Musik siegt), doch wahrlich wider dessen fühlen sich viele wegen der Musik behämmert und in der Leidenschaftlichkeit besiegt. Ich selbst konnte mich davon überzeugen, wie Musik und deren Kunst in productione aussieht: Sehr wohl wie ein Landhof! Erlaubt mir darum, eine kurze Auslegung der Sache.
Das berühmte Londoner Triumvirat nach Charles Burney1
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„„Von diesem Zeitpunkt an [29. Juni 1717] wurden italienische Opern bis 1720 nicht mehr aufgeführt, als ein Plan zu ihrer Unterstützung und Aufrechterhaltung aufgestellt wurde: Es wurde ein Fonds von 50.000 Pfund eingerichtet, der durch Subskription unter den führenden Persönlichkeiten des Königreichs aufgebracht wurde. Da Seine Majestät, König Georg I., 1.000 Pfund gezeichnet hatte, wurde dieser Fonds Royal Academy of Music genannt, die aus einem Gouverneur, einem stellvertretenden Gouverneur und zwanzig Direktoren bestand.“
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„Um diesen Plan so vollständig wie möglich zu gestalten, beschlossen die Direktoren, nicht nur einen Lyriker, sondern auch die besten Sänger, die in den verschiedenen Teilen Europas, in denen Musiktheater aufgeführt wurden, zu finden waren, und die drei bedeutendsten Komponisten, die zu dieser Zeit lebten und die zu einem Besuch des Landes [England] bewegt werden konnten, zu engagieren. Zu diesem Zweck wurden BONONCINI aus Rom, Attilio ARIOSTI aus Berlin hierher eingeladen, und HÄNDEL, der sich zu dieser Zeit beim Herzog von Chandos in Cannons aufhielt, wurde nicht nur in dieses Dreigestirn aufgenommen, sondern auch beauftragt, Sänger zu engagieren."
Eintrag ins Notizbüchlein des Franz Korbietschek [mit einer Erwähnung von Attilio Ariosti*]:
Mein Ersehen des tausendsten siebenhundertsten und sechzehnten Jahres auf englischer Reise, London 1717
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Die vierte Woch:
- Fertig der Gleich, auf Hand geleget Auszahlung id est 50 fl.
- Theaterbesuch: ausgezeichnete Musik, im Ganzen schön, die Geschicht rührend, teils zu sehr con brio, besser mehr cantabile
- Guter italienischer Wein, der Hausdiener hatte gebracht: kam zu Gunsten, wegen des regnerischen Wetters, denn gab es nichts Besseres zu tuhn. Endlich Ruhe, abends der Versatz übernommen von Welbey fürs neue Textil
- Interessantes Spektakel: Ich traf mich mit Cervelli und dieser hat mich mit einer überaus interessanten Sache beschert. Angeblich, dass irgendein nordtalienischer Italiener hats beliebt in hier in London zu sein, und dass dieser ein neues Instrument aus der Heimat mitbrachte. Angeblich sieht dieses wie eine Gamba aus, ist doch klein, und man spielet diese wies Geiglein. Sie töne wie eine Fiedel.
Ein Brief des Händlers Franz Korbítschek an seine Tochter Margarete aus seiner Reise nach England: Im Sommer 1717, London [Übersetzung vom barocken Böhmisch]
Tausend Grüßen, unsere treue liebe Tochter, aus der londinischen Stadt schreibt dir dein geehrter und geliebter Herr Papá. Hoffend, dass dich Gesundheit begnadet, schreibe ich dir dieses Schreiben im Hause deines Vetters Johann, den du, Gott beweine die Wahrheit, niemals erblicken konntest. Dein Brief kam zu mir ohn Makel und wahrlich kann ich mich mit Stolze rühmen, welch meine Tochter ist, so wie sie willig ist der geehrten Mutter zu helfen und am Versuchen ist ein gutes Jungfräulein zu sein. Nun lange wird mein Gereise im englischen Lande nicht mehr von langer Dauer sein, dennoch teilt mich von dir, mein gülden Blümchen, eine kurze Zeit. Doch beliebe nicht dein Haupt zu hängen, denn für dich hab ich eine Historie, welch mir geschah und du gewiss ein Belachen in jener findest.
Wie ich früher dich bekündigt habe, verweile ich derweilen im Londinium und eines Tages musste ich aus dem Hause gehen, denn ein Verkehren in einer Händlerssach von Pflicht war, und ohn’ jene Säumnis an Ort und Stelle musste ich sein. So ging ich also über eine gelegte Straß, alsdann aus heiterem Himmel in mich ein fremdes Gemanne stoß. In vollkommene Empörung gesetzt, zurecht sprach ich diesem Lunderlinge, dass er eher seinem Gange Beachtung widmen solle, eher denn seinem Fuzipapier. Sieht er etwa nicht, dass Andere hier ihren Pfad führen? Der Kerl mit seinem Béret rouge entschuldigte sich und eilte flott fort. Dies jedoch ist nicht das Ende des Erzählens.