Musik im Gebirge

6. 8. 2023

Kirche in Quinau

Ein abgelegenes Bergdorf im böhmischen Erzgebirge und klassische, von internationalen Künstlern ausgeführte Musik: Das könnte sich nach einem Widerspruch anhören. Aber die Quinauer Musikfesttage an der sächsisch-deutschen Grenze zeigen, dass dies möglich ist, ja dass eine solche Kombination zu einer kulturellen Attraktion werden kann. Denn ländliche Kunst aus der Vergangenheit, eine unberührte Natur und alte Musik passen bestens zusammen.
Im Jahr 2018 war Alena Hönigová, eine Prager Vollblutmusikerin und schon „Erfinderin“ eines Musikfestivals in Eisenberg, auf diese Gebirgsgegend aufmerksam geworden, als sie auf der Suche nach einem Ort für die Aufnahme einer CD war. Im Sommer 2018 wurden in der Wallfahrtskirche Mariä Heimsuchung in Quinau, auf dem Gemeindegebiet von Blatno, die orchestralen Werke von J. J. Rösler aufgenommen, Alena hatte sich in die Gegend „verliebt“.
Die Begeisterung des einheimischen Musikliebhaber-Ehepaars Tollar, die die zukünftigen Protagonisten miteinander verbanden, ermutigte Iveta Rabasová Houfová, die energische und entschlossene Bürgermeisterin von Blatno, das Musikfestival ins Leben zu rufen. Das in diesem Jahr zum vierten Mal stattfindet. Immer mit gutem, weitem Echo und internationaler Beteiligung.

Ensemble Kesselberg na festivalu 2022Von Anfang an waren die Maimusikfestspiele ein Festival der Alten Musik, das sich vor allem auf die Musik des Barock und der Klassik konzentriert. “Die Notenschrift ist nur ein Hinweis auf eine musikalische Idee. Der Komponist, der sie niederschreibt, zählt auf Musiker, die dieselbe Musiksprache und von ihn vorgestellte Instrumente beherrschen. Die Musiksprache der verschiedenen Länder war früher sehr unterschiedlich und verändert sich noch immer, die Bedeutungen verschieben sich, und die Instrumente entwickeln sich weiter,” erklärt Alena.

Musiker, die sich auf historische Interpretation spezialisieren, müssen andere Spieltechniken als heute beherrschen und sich eine Reihe von Praktiken aneignen, die nicht direkt in den Noten niedergeschrieben sind, aber zum Beispiel im Neapel der 1730er Jahre oder im Wien des frühen 19. Jahrhunderts üblich waren. Glücklicherweise liegen aus vergangenen Jahrhunderten Traktate vor, denen diese musikalischen Informationen wie Tempo, Artikulation, Phrasierung oder Instrumentaltechnik bzw. Stimmung zu entnehmen sind und die jeder Musiker in der Praxis ausprobieren kann - die Musik beginnt dann zu ‘funktionieren’, klingt überzeugend und man ‘erkennt’ sie.”

Kirche in BlatnoBeim Festival in Blatno und Quinau wird meist auf alten Instrumenten gespielt, was wunderbar in Barockkirchen klingt: Geistliche Musik wird in der Wallfahrtskirche in Quinau vorgetragen, weltliche Musik in der Michaelskirche in Blatno. Das internationale Festival in Blatno stellt in der Tschechischen Republik immer noch eine Rarität dar. Es gibt im Lande bisher relativ wenige Festivals für Alte Musik, da sich die Bewegung für Musica Antiqua hier später durchgesetzt hat als in anderen Ländern Westeuropas.

Festival 2022Den Organisatoren des Festivals ist es dabei wichtig, auch musikalisch nicht geschulte Zuhörer und deren Ohren an den Genuss von Musik zu gewöhnen und ihnen die Musik näher zu bringen. Es ist bekannt, dass es keiner formalen Ausbildung bedarf, um Musik zu "verstehen". Das menschliche Ohr braucht jedoch Zeit, um sich an die komplexen Klänge zu gewöhnen und sich in ihnen zu orientieren. Die Geschichten, die die Festivalkonzerte verbinden, helfen dann, die Aufmerksamkeit zu fokussieren. Ob der Zuhörer dann die Details einer komplexen Fuge wahrnimmt oder nur von einem undefinierbaren Gefühl während des Konzerts überwältigt wird, spielt keine Rolle. Wichtig ist, dass der Besucher das Konzert zufrieden und mit neuer Energie verlässt.

Die Dramaturgie beinhaltet immer auch Musik von Komponisten, die auf irgendeine Weise mit der Region verbunden sind, mögen sie von der tschechischen wie von der deutschen Seite stammen. Entscheidend für den Erfolg dieser Musikfesttage ist auch die Zusammenarbeit der einzelnen, aus verschiedenen Ländern stammenden Interpreten. Aber wichtig ist immer eins: Schon dem Festival bekannte und „neue“ Musiker sorgen mit ihrer passionierten Zusammenarbeit dafür, dass immer wieder neue Ideen aufgegriffen und zu faszinierten Projekten ausgeweitet werden.

Noch eine private Anmerkung: Ich kenne Alena Hönigová seit acht Jahren, seit ich 2015 als vom Deutschen Kulturforum östliches Europa entsandte Stadtschreiberin in Pilsen lebte, der damaligen Europäischen Kulturhauptstadt. Ich war Stadtschreiberin, Alena gab im Pilsener Raum mehrere Konzerte als Cembalistin und Organistin. Wir verstanden uns auf Anhieb.

Wolftraud de Concini