Quinauer Musikfesttage 2024
Freitag 30. August – Sonntag 1. September 2024
Das Internationale Musikfestival QUINAUER MUSIKFESTTAGE setzt die Tradition fort, die seit 2012 auf dem Schloss Jezeří/Eisenberg gepflegt wurde. Das Festival, das 2019 in der charismatischen Wallfahrtskirche Mariä Heimsuchung in Květnov/Quinau (Teil der Gemeinde Blatno) begann, findet ab 2021 auch in der Kirche zum Erzengel Michael in Blatno statt. Zu dem ursprünglichen Publikum aus Jezeří/Eisenberg sind weitere Zuschauer aus der Region Ústí nad Labem und aus Sachsen hinzugekommen, und das Festival hat mit seinen jährlichen neuzeitigen Uraufführungen, zeitgenössischen Premieren und Stil-Crossover seinen unverwechselbaren Charakter entwickelt. Im Jahr 2022 wurde auch die ursprüngliche spätbarocke Orgel aus der Kirche von Blatno wiederentdeckt, und nun arbeitet die Gemeinde Blatno daran, ihre Rekonstruktion abzuschließen und sie an ihren ursprünglichen Standort zurückzubringen, während die Kirche schrittweise repariert wird.
Das fünfte Jahresfestivals wird wieder am letzten langen Wochenende im stattfindet mit der Teilnahme von tschechischen sowie ausländischen Künstlern, die sich auf historische Instrumente und historische Interpretation spezialisieren.
Die historische Orgel, die in den letzten zwei Jahren das zentrale Thema der Gemeinde ist, wird zur Inspiration für das kommende Festival. Die erzgebirgische Orgel stand am Anfang der steilen Karriere von Georg Friedrich Händel. “Zachow [der erste Lehrer von Händel] soll Händel das Orgelspiel auf einem kleinen, pedallosen Instrument mit sechs Registern beigebracht haben, das im 17. Jahrhundert vom erzgebirgischen Orgelbauer Georg Reichel in der Marktkirche zu Halle gebaut wurde. Der Klang der Reichel-Orgel scheint sich unauslöschlich in Händels Gedächtnis eingebrannt zu haben, denn ihr Aufbau ist fast identisch mit dem des Instruments, das er für sich selbst in England gebaut hatte, und mit dem, das er für seinen Freund, den Autor des MessiasLibrettos, Charles Jennens, entwarf,” erwähnt Musikwissenschaftlerin Michaela Freemanová in ihrem Artikel von 2009 (“Feuerwerk des Lebens und der Werke Georg Friedrich Händels” in der Zeitschrift Harmonie). Die berühmte Müthel-Orgel in Riga wurde wiederum von demselben Orgelbauer, Kristian Wegscheider, renoviert, wie die Orgel in Blatno, die vor kurzem von der Gemeinde gekauft wurde und nun auf den Abschluss der Renovierung und die Rückkehr an ihren ursprünglichen Standort wartet.
In diesem Jahr weht also der Nordwind in Blatno und bringt uns die Werke zweier Musiker, die in Deutschland geboren und ausgebildet wurden, deren Leben der Nordstern aber weit weg von zu Hause führte - Georg Friedrich Händel nach London und Johann Gottfried Müthel nach Riga. Wir betrachten sie mit den Augen ihrer Zeitgenossen, ob sie nun Freunde oder Feinde waren. Beide wurden bewundert und gefeiert, standen aber auch im Verdacht, mit dunklen Mächten im Bunde zu stehen.
Die Welt von Händel und Müthel wird mit dem nordböhmischen Most/Brüx und dem erzgebirgischen Blatno/Platten durch ein magisches Instrument verbunden, dessen Klang eher mit der Inbrunst des Südens assoziiert wird: Viola d‘amore, die Liebesbratsche. Dieses Instrument war Ende des 18. Jahrhunderts in Böhmen sehr beliebt, und sein Klang faszinierte viele der herausragenden Geiger und Komponisten des Landes.
Beim Eröffnungskonzert des Festivals HÄNDELS FREUNDE UND FEINDE am Freitagabend präsentieren der Countertenor Alex Potter und das internazionale Barockensemble Nivalis Barokk Szenen aus Händels Opern Orlando und Theodora im Kontext der Werke seiner Londoner Kollegen Agostino Steffani (1654-1726), Attilio Ariosti (166-1729) und Giovanni Bononcini (1670-1747). Können die Zuhörer anhand der Musik erraten, wer Händels Freund und wer sein Rivale war? Und ist die Anekdote wahr, die seinen Porträtistenund Bühnenbildner Joseph Goupy dazu veranlasste, eine Karikatur von Händel zu malen? Alex Potter wird das Geschehen mit seinem typisch englischen Humor kommentieren, und sein dramatischer Gegenpart ist die Sopranistin Guro Evensen, die wegen ihrer reinen und geschmeidigen Stimme auch die "norwegische Emma Kirgby" genannt wird.
Bei dem Konzert wird auch die Festival-Auftragskomposition uraufgeführt, die der tschechische Komponist Otto Orany für diesen Anlass komponiert hat.
Während zu Händels Lebzeiten seine Vorliebe für Essen Anlass zu Klatsch war, wird sie bei unserem Konzert zu einem Wettbewerb um den besten regionalen Kuchen anregen. Den Vorsitz der „Experten“-Jury hat der große Feinschmecker und passionierte Koch Alex Potter, und auch das anwesende Publikum wird seinen Preis vergeben.
Das Matinee-Konzert RESONANZEN VON VIOLA D‘AMORE am Samstag entführt uns in die magische Welt eines fast vergessenen Instruments. Gustav Schilling beschreibt es mit den Worten: “Die Liebesbratsche ist reine Zärtlichkeit, reines Gefühl, und nur wer ein Herz hat, das für solche zarten Regungen der Seele empfänglich ist, wird große Freude an ihr haben.
Ihre Freude und ihr Leid sind verhalten, aber sie berühren das Herz tief und dringen bis in sein Innerstes.” Händel verwendete dieses Instrument in der Szene von Orlando, als der Zauberer Zoroastro ihn mit einem Zaubertrank aus dem Wahnsinn erweckt, dem der Held aufgrund von unerwiderter Liebe, Eifersucht und Hass erlegen ist. Attilio Ariosti selbst, der die Viola d‘amore spielt, verknüpfte in Amadigi di Gaula die Geschichte von Händels Oper über König Arthur und die Ritter der Tafelrunde. Sie erklingt in verschärften Momenten in den Opern von Puccini, Meyerbeer, Berlioz und wurde von Janáček geliebt. Am populärsten war die Viola d‘amore jedoch Ende des 18. Jahrhunderts und war auch in den Händen von Adalbert Dusek in hellen, ruhigen Nächten auf dem Prager Altstädter Ring zu hören, während Meisterwerke für sie auch Florian Gassman (1729-1774) aus Most/Brüx und Antonin Coelestyn Mentze aus Broumov/Braunau schrieben. Der Lexikograph Bohumír Dlabacz (selbst ein Viola d‘amore-Spieler) zählt dreizehn böhmische Virtuosen und Erbauer dieses Instruments auf, darunter den berühmten „Stradivari der Viola d‘amore“ Johann Eberle (1699-1768). Unser Publikum wird von Daniela Braun, einer seltenen Meisterin dieses Instruments und Erforscherin ihres böhmischen Repertoires, in diese Welt eingeführt werden.
Den Samstagabend wollen wir mit unserem langjährigen Festivalpartner, der BATZDORFER HOFKAPELLE, etwas weiter südlich verbringen. Als Händel Ende 1706 aus Hamburg in Rom eintraf, das für die nächsten zwei Jahre seine Heimat werden sollte, kann man sich kaum vorstellen, wie er nach den engen Gassen seiner Heimatstadt Halle und den roten Backsteinhäusern Hamburgs von der hellen, lichten und für ihn bis dahin ungesehenen Pracht der Architektur der Ewigen Stadt überwältigt war. In einer Umgebung, die einer künstlerischen Nährlösung glich, wie in einem Fieber, angeregt von außerordentlich begabten römischen Musikern, unterstützt von kunstsinnigen Kardinalsmäzenen und beflügelt von prächtiger katholischer Kirchenmusik, legte er den Grundstein für seinen späteren Ruhm in der gesamten europäischen Musikwelt. Hier wurde er zum Meister aller italienischen Formen wie Oper, Oratorium, Serenade, Kantate und Instrumentalkonzert. Der riesige Berg von Hunderten von Melodien, den er während seiner kurzen römischen Zeit schuf, wurde zur Fundgrube für seine späteren Werke, von denen er immer wieder profitierte.
Kurzum, aus dem protestantischen norddeutschen Komponisten wurde der italienische katholische Komponist Händel. Während man im protestantischen Norden den Sinn eines Wortes oder eines biblischen Textes mit immer subtileren kontrapunktischen Mitteln nach allen Seiten hin musikalisch zu deuten und zu erklären versuchte, will die katholische Musik den Hörer in Erstaunen versetzen, ihn emotional auf allen Ebenen packen und in die übernatürliche Welt entführen.
Die Batzdorfer Hofkapelle lässt diese lebendige, jahrhunderterprobte emotionale Verführungskraft der Händelschen Musik in HÄNDELS MARIENKANTATEN in der durch ihre Madonnenstatue berühmten Wallfahrtskirche in Kvetnov/Quinau noch einmal lebendig werden.
Der Sonntagnachmittag gehört dem KESSELBERG-ENSEMBLE und Johann Gottfried Müthel. In dem Programm SEIDENRÖCKE, GOLDENKNÖPFE wird diese ungewöhnliche Persönlichkeit als brillanter, unkonventioneller und innovativer Meister vorgestellt, der sich in keine Kategorie einordnen lässt. Nach seinem Tod ergab eine Bestandsaufnahme seiner Garderobe, dass es sich um exquisite Kleidungsstücke handelte. Unter anderem mehrere rote Mäntel, ein Dutzend Seidenwesten. Er war ein extravaganter Typ, der über das graue Kopfsteinpflaster von Riga lief. Es ist auch bekannt, dass er den Winter liebte. In seinem Brief bezeichnet er diese Jahreszeit als die ideale Jahreszeit, um in die Welt der Clavichordklänge einzutauchen, denn im Winter wird der Straßenlärm durch eine Schneedecke gedämpft...
Müthels Musik ist ein rätselhafter und noch nicht ganz verstandener Kulturschatz: Seine Klangwelt liegt zwischen Barock und Klassik, zwischen alten und neuen Stilen, zwischen der Exzentrik und Impulsivität des Barock und der Ordnung, Klarheit und Harmonie der Klassik. Sie ist vielleicht am ehesten dem Stil der Empfindsamkeit zuzuordnen, der in der Mitte des 18. Jahrhunderts als Reaktion deutscher Künstler auf die etwas mechanische Art des Gefühlsausdrucks der barocken Affektenlehre entstanden ist. Dieser Stil zeichnet sich durch Stimmungsschwankungen und einen Hang zu unentschärften, unverfälschten Emotionen aus. Jeder Takt von Müthels Musik spiegelt den Wunsch wider, in Flammen auszubrechen, zu blenden, zu überraschen mit unerwarteten Harmonien, Kontrasten von Lautstärke und Stille, fast unmöglicher Virtuosität und absoluter Unberechenbarkeit.
Müthel war der letzte Schüler von Johann Sebastian Bach, und diese Ausbildung spiegelt sich in seinem polyphonen Stil, der charakteristischen Länge seiner Werke und seinen kühnen Ideen wider. Müthels Kompositionen sind komplex, dicht und faszinierend. Sein Cembalokonzert wird begleitet mit der Musik von dem Cello-Virtuose Luigi Boccherini und mir der Musik des lettischen Komponisten Uģs Prauliņš, komponiert für die Musiker des Kesselberg-Ensembles.
Der diesjährige Blog wirft einen Blick in das Familienarchiv des barocken Bürgers Veit Sebastian Laurentianus / Vít Šebestián Vavřinecky. Darin finden wir Briefe, Memoiren und Tagebucheinträge nicht nur von ihm, sondern auch von seinen Familienmitgliedern und Bediensteten. Zum Beispiel ein Brief des Kaufmanns František Korbíček an seine Tochter Markéta von seiner Englandreise im Sommer 1717, wo er ein Aufführung von Händels Oper Rinaldo besuchte und auf dem Bürgersteig mit einem eiligen Herrn mit roter Baskenmütze zusammenstieß. Können Sie erraten, welche dieser Briefe echt sind und welche vielleicht nur kunstvoll von einem zeitgenössischen Autor nachgeahmt wurden, der Ihnen Details aus dem Leben der Komponisten des diesjährigen Festivals vermitteln wollte?
Die Besucher werden in Blatno auch einen stilvollen Stand mit süßen Delikatessen finden und im Mai den beliebten Erfrischungsstand von Frau Jermilovová aus der Römisch-katholischen Gemeinde Jirkov. Wie in den vergangenen Jahren planen wir Online-Live-Übertragungen aller Festivalauftritte.