Böhmische Anekdote über J. G. Müthel

Johann Gottfried MüthelDiese kurze Anekdote aus dem Ende des 18. Jahrhunderts erzählt eine kurze, wahrscheinlich unwahre Geschichte, die die Virtuosität von Johann Gottfried Müthel* unterstreichen sollte. Hinweise darauf, dass es sich um diesen Komponisten handelt, finden sich in der Erwähnung eines alten Meisters (J. S. Bach) in Leipzig und seines letzten Schülers (d. h. Müthel), der die Hauptfigur der Handlung verkörpert. Im Allgemeinen ist dies bezüglich des Erzählstoffs eine sehr unüblicher Inhalt, denn weder Bach noch Müthel waren damals sehr bekannte Komponisten im böhmischen Kulturleben.

Wie ein Schüler in Leipzig ein Klavier zum glühen brachte

Vor vielen Jahren, als der alte Musikmeister noch in Leipzig lebte, nahm er seinen letzten Schüler in die Lehre, weil er großes Geschick in ihm sah. Nach etwa zwei Wochen in der Lehre habe sie sich überworfen, weil der Schüler nicht gut geübt hatte, und der alte Meister warf ihn aus dem Zimmer, er solle wiederkommen, wenn er richtig die Musik oder Komposition könne. Es geschah am Nachmittag, sodass der Schüler erst am Abend nach Hause kam, man sagt er nahm keinen Bissen zu sich, sondern ging zu seinem Klavier und spielte, so viel er konnte.  

Er war die ganze Nacht auf und musizierte hinter dem Klavier. Die Zeugen, die ihn hörten, sagten, es habe wie ein Engelskonzert geklungen, und man hätte schwören können, dass die Heiligen dort mit ihm musizierten, denn sie konnten nicht glauben, dass ein Mann so am Klavier spielen könne. In der Tat spielte er bis zum Hahnenschrei, bis in den Tag hinein und vor dem Gottesdienst eilte er zu seinem Meister. Als er gegangen war, kam ein Mädchen, um das Zimmer zu putzen, aber als sie die Tasten des Instruments pulieren wollte, hätten ihr die Augen herausfallen können, denn die Tasten glühten wie ein Ofen, waren rot wie ein Feuer und qualmten. Sie rannte empört davon, und so habe ich die Geschichte gehört. Man sagten auch, dass der alte Meister, wahrscheinlich wars ein Monat später, ins Gras gebissen hat, dass der Junge irgendwohin ging und dass er in irgendeinem weit entfernten Land ein Meister wurde, aber Gott weiß, was die Geschichte wert ist.

Anmerkung der Redaktion:
* Johann Gottfried Müthel (1728 Mölln, Lauenburg; – 1788 Riga), Cembalist, Organist und Komponist, zusammen mit C. P. E. Bach gilt Müthel als ein Hauptvertreter des Sturm und Drang in der Musik.
Die erste musikalische Ausbildung erhielt Müthel von seinem Vater, Organist in Mölln. Seine Studien wurden anschließend beim Lübecker Marienorganisten Johann Paul Kuntzen fortgesetzt und perfektioniert bei Johann Sebastian Bachs, in dessen Haushalt er auch wohnte. Auch wenn Bach bereits drei Monate nach seinem Eintreffen verstarb, konnte sich Müthel als Kopist des schon erblindeten Meisters intensiv mit dessen Schaffen auseinandersetzen.
Nach Bachs Tod vertiefte Müthel seine Ausbildung in Naumburg bei Johann Christoph Altnikol, in Dresden durch die Bekanntschaft mit Johann Adolf Hasse, am Hofe von Friedrich II. in Berlin und Potsdam bei Carl Philipp Emanuel Bach, mit dem Müthel eine lebenslange Brieffreundschaft verband und schließlich in Hamburg durch die Bekanntschaft mit Georg Philipp Telemann. Danach wirkte er als Kammermusiker und Hoforganist in der Kapelle des Herzogs Christian Ludwig II. von Mecklenburg-Schwerin.
Danach folgte er die Einladung seines Bruders nach Riga, wo er das Hausorchester des livländischen geheimen Regierungsrates Otto Hermann von Vietinghoff verstärkte und in dortigen Abendmusiken auftrat. Bei diesen Gelegenheiten erwarb sich Müthel so viel Anerkennung für sein technisches Können, dass ihm 1767 die Organistenstelle der Petrikirche übertragen wurde. Diese Stelle behielt er bis zu seinem Tode inne. In Riga war er Mitglied der Freimaurerloge „Zum Schwert“.
In den letzten Lebensjahren zog sich Müthel mehr und mehr aus dem öffentlichen Leben zurück, schien sich aber trotzdem in Riga wohlzufühlen, da er mehrere Angebote aus Deutschland ablehnte. Bekannt wurde die Anekdote, dass er sich zuletzt nur noch im Winter als Pianist öffentlich hören ließ, da nur dann der Schnee das Gerassel der vorbeifahrenden Wagen auf ein für den Künstler erträgliches Maß dämpfte.

Das musikalische Schaffen Müthels umfasst eine überschaubare Anzahl an Kompositionen, von denen nur wenige zur Lebzeit des Komponisten veröffentlicht wurden. Ilze Grudule und das Kesselberg-Ensemble nehmen Müthels Werke systematisch auf und veröffentlichen sie in modernen Ausgaben.