Eintrag ins Notizbüchlein des Franz Korbietschek [mit einer Erwähnung von Attilio Ariosti*]:
Mein Ersehen des tausendsten siebenhundertsten und sechzehnten Jahres auf englischer Reise, London 1717

Attilius Ariosti
Die vierte Woch:

- Fertig der Gleich, auf Hand geleget Auszahlung id est 50 fl.
- Theaterbesuch: ausgezeichnete Musik, im Ganzen schön, die Geschicht rührend, teils zu sehr con brio, besser mehr cantabile
- Guter italienischer Wein, der Hausdiener hatte gebracht: kam zu Gunsten, wegen des regnerischen Wetters, denn gab es nichts Besseres zu tuhn. Endlich Ruhe, abends der Versatz übernommen von Welbey fürs neue Textil
- Interessantes Spektakel: Ich traf mich mit Cervelli und dieser hat mich mit einer überaus interessanten Sache beschert. Angeblich, dass irgendein nordtalienischer Italiener hats beliebt in hier in London zu sein, und dass dieser ein neues Instrument aus der Heimat mitbrachte. Angeblich sieht dieses wie eine Gamba aus, ist doch klein, und man spielet diese wies Geiglein. Sie töne wie eine Fiedel.

Aber Cervelli schwätzte noch mehr quatischen Geschwätz, mindestens erschien dies demnach. Angeblich schmücke er sich mit teurem Mieder, gleich einem wohlhabenden, doch angeblich möge er nach Almosen und anderen Güten gehen und Gulden ersuche er zu erbetteln. Täte dies doch ein Reicher? Ich starrte ihn ungläubig wie ein Uhu an und musste beim weiteren Gerede mich am Haar halten. Angeblich sei er dazu mit dem Teufel verpaktet, denn ihn ruhme pure Magie, und dass dieser gestern irgendwo im Deutschen wäre und nachts im Fluge zurückkam. Ein Hexer, sprach alberner Cervelli. Ich musste ihn setzten und ihm sagen: Cervelli, er wolle nichtmehr weitertrinken, den er spinnt. Er aber erwiderte, dass alles wahr sei. Wahrlich muss ich zugeben, dass dies alles eher ein Märchen als Historie.

- Nicht vergessen Margarete und Josefine zu schreiben unds schreiben senden
lassen


Die fünfte Woch:

-  Vielleicht sagte mir Cervelli die Wahrheit. Alles nur ein dummes Gelaber!
- Auf den Ring zu Mittag kommen
- Das Schiff auskontrolieren: All Ware gut erhalten ad aestimandum 400 fl.
- Wieder regnerisch, also ein ruhiger Auspannungstag
- Ich sprach wieder mit Cervelli: sein Mund ist wohl ein Schütz, denn ständig möchte er von diesem Taliener quatschen:
Sein Hirn bepustet wohl vom Frostli,
er sing den Namen Ariosti!

[Franz Korbítschek, der Marktmann]

* Anmerkungen des Webmasters:  Attilio Ariosti (1666-1729) war in den 1820er Jahren neben Händel und Bonnoncini einer der berühmtesten Komponisten in London. Er stammte aus Bologna, wo er seine musikalische Ausbildung erhielt, in den Servitenorden eintrat und wahrscheinlich zum Priester geweiht wurde. Im Jahr 1696 trat er in die Dienste des Fürsten von Mantua, der ihn ein Jahr später nach Berlin an den protestantischen Hof von Sophie Charlotte (nach der Charlottenburg benannt ist) schickte. Ariosti wurde bald zu Charlottes Lieblingsmusiker, und als der Servitenorden gegen den Verbleib eines Ordensbruders in diesem ketzerischen Umfeld protestierte, zögerte Charlotte nicht, bei den italienischen Fürsten und Kardinälen vorstellig zu werden, damit Ariosti in ihren Diensten bleiben konnte. Selbst der Philosoph Leibnitz argumentierte in diesem Streit, dass Ariosti nicht leicht zu ersetzen sei, da er sang, mehrere Instrumente spielte und sowohl Musik komponieren als auch dramatische Texte schreiben konnte.

Nach sechs Jahren musste Ariosti schließlich zum Orden zurückkehren, wohin er über Wien ging. Allerdings blieb er hier siebeneinhalb Jahren und komponierte eine Oper, drei Oratorien, fünf Serenaden und eine Reihe von Kantaten. Kaiser Joseph I. schätzte ihn sehr und ernannte ihn 1707 sogar zum kaiserlichen Minister und Vertreter aller Fürsten und Staaten Italiens. In dieser Funktion kehrte Ariosti 1708 nach Italien zurück und diente wahrscheinlich die nächsten vier Jahre (bis zum Tod Kaiser Josephs) als Diplomat im kaiserlichen Dienst. Er soll in weltlicher Kleidung - einem Mantel aus Goldbrokat mit einem prächtigen Hut - erschienen sein und Besucher mit solchem Pomp empfangen haben, dass Wilhelmine, die Witwe Kaiser Josephs I., später vom Papst verlangte, ihn aus Italien zu verbannen. Leibnitz zufolge trat Ariosti 1711 in die Dienste des Herzogs von Anjou (des späteren Königs Ludwig XV. von Frankreich), wo er ein "enormes Gehalt" erhielt. Die folgenden Jahre lassen sich vielleicht am besten in einem Brief zusammenfassen, den er 1716 an seinen Bruder schickte: Nach sechs Jahren musste Ariosti schließlich zustimmen, zum Orden zurückzukehren, wohin er über Wien ging. Allerdings blieb er hier siebeneinhalb Jahren und komponierte eine Oper, drei Oratorien, fünf Serenaden und eine Reihe von Kantaten. Kaiser Joseph I. schätzte ihn sehr und ernannte ihn 1707 sogar zum kaiserlichen Minister und Vertreter aller Fürsten und Staaten Italiens. In dieser Funktion kehrte Ariosti 1808 nach Italien zurück und diente wahrscheinlich die nächsten vier Jahre (bis zum Tod Kaiser Josephs) als Diplomat im kaiserlichen Dienst. Er soll in weltlicher Kleidung - einem Mantel aus Goldbrokat mit einem prächtigen Hut - erschienen sein und Besucher mit solchem Pomp empfangen haben, dass Wilhelmine, die Witwe Kaiser Josephs I., später vom Papst verlangte, ihn aus Italien zu verbannen. Leibnitz zufolge trat Ariosti 1711 in die Dienste des Herzogs von Anjou (des späteren Königs Ludwig XV. von Frankreich), wo er ein "enormes Gehalt" erhielt. Die folgenden Jahre lassen sich vielleicht am besten in einem Brief zusammenfassen, den er 1716 an seinen Bruder schickte: „Ich bin von allen Herrschern, wo ich hinkam, mit großen Ehren empfangen worden, d.h. in Bayern, Württemberg, Durich, Baden, Lothringen und gegenwärtig vom Herzog von Orleans, dem Regenten dieses Königreichs, wo ich nicht lange bleiben werde... Ich werde nach England gehen, und von dort nach Portugal und Madrid... Ich könnte Euch viele Neuigkeiten erzählen, aber ich wage es nicht, denn wie alle, die klug handeln, darf ich sie nicht erzählen." 

Ariosti trat 1716 zum ersten Mal in London auf und spielte zwischen den Akten von Händels Oper Amadigi "ein neues Instrument namens Viola d'Amour". Auch seine Oper Tito Manlio wurde dort in derselben Spielzeit aufgeführt. Die Zahl seiner Kompositionen ist nicht so groß wie die vieler seiner Zeitgenossen, was zweifellos darauf zurückzuführen ist, dass er sich häufig auf seine Lehrtätigkeit, seine kirchlichen und diplomatischen Aufgaben, seine Gesangs-, Orgel-, Cembalo- und Cellokonzerte oder seine Auftritte mit der Viola d'amore konzentrierte. Seine Bühnenwerke sind dramaturgisch sehr wirkungsvoll; Ariostis chromatische Techniken konnten auch Schrecken und Verzweiflung überzeugned darstellen oder das Publikum zu Tränen rühren.

Von 1722 bis 1728 stand er auf dem Höhepunkt seiner Karriere, doch als die Königliche Akademie, für die er komponierte, 1728 in Bankrott ging und es offenbar nicht mehr gelang, Ariosti für seine letzte Oper zu bezahlen, geriet er in Armut. Die Grabinschrift von Paolo Rolli lässt vermuten, dass sein Lebensstil daran schuld sein könnte: "Hier liegt Attilio Ariosti, er würde sich mehr leihen, wenn er sich an Sie wenden könnte. Von 1722 bis 1728 stand er auf dem Höhepunkt seiner Karriere, doch als die Königliche Akademie, für die er komponierte, 1728 in Bankrott ging und es offenbar nicht mehr gelang, Ariosti für seine letzte Oper zu bezahlen, geriet er in Armut. Die Grabinschrift von Paolo Rolli lässt vermuten, dass sein Lebensstil daran schuld sein könnte: „Hier liegt Attilio Ariosti, er würde sich mehr leihen, wenn er sich an Sie wenden könnte. Bis zum letzten Augenblick hat er als Mönch – auf Kosten anderer – gelebt - und starb auch so."

Lindgren, Lowell. „Ariosti, Attilio." In: Grove Music Online. 2001. [2. 6. 2024]. https://www-oxfordmusiconline-com.ezproxy3.nkp.cz/grovemusic/view/10.1093/gmo/9781561592630.001.0001/omo-9781561592630-e-0000001241.