Charles Burney1 über Florian Gassmann

Er setzte mich in große Verwunderung mit einer Menge von Fugen und Chören, die er mir zeigte und die er als Übungsstücke gemacht hatte. Einige davon waren in zwei oder drei verschiedene Taktarten, komponiert; und unterschiedliche davon, sagte er, hätte der Kaiser gespielt.
Einige Personen machen Herrn Gassmann den Vorwurf, dass er in seinen theatralischen Kompositionen nicht Feuer genug hat; allein die Ernsthaftigkeit seiner Schreibart hat sehr natürliche Ursachen, und diese Stecken in der Zeit und Mühe, die er auf die Kirchenmusik verwendet haben muss. Nach einer gleichen Vollkommenheit in beiden zu streben, heißt zugleich Gott und dem Mammon dienen wollen; und diese vortrefflichen Kirchenkompositionen, die von ihren Werken überlebt worden sind, als z. B. Palestrina, Tallis, Bird, Allegri, Benevoli, Colonna, Caldara, Marcello, Lotti a Fux, haben sich bloß und allein auf den Kirchenstyl eingeschränkt. Alessandro Scarlatti, Händel, Pergolesi und Jommelli sind Ausnahmen. Überhaupt aber betrachtet glückt es denen am besten, welche für die Kirche, das Theater oder die Kammer schreiben, wenn sie sich eine Gattung davon besonders wählen, und nur darin arbeiten.
Ich nenne nicht jedes Oratorium, Messe oder Motette Kirchenmusik; weil eben die Töne mit anderen Worten darunter, ebenso gut, und zuweilen noch besser, für das Theater sich schicken würden. Unter dem, was man mit Recht Kirchenmusik nennt, verstehe ich diese ernsthaften wissenschaftlichen Kompositions, welche bloß für Singestimmen gesetzt sind, deren Vortrefflichkeit mehr in guter Harmonie, in gelehrter Modulation, und in Fugen über sinnreiche und nicht üppige Subjekte bestehet, als in leichten tändelnden Arien, mit schwärmender Begleitung.
Das kaiserliche Theater und die kaiserliche Kapelle haben jede ihr eignes musikalisches Archiv. Von dem letzten hat der Kaiser den Schlüssel weggenommen; es enthielt solches aber bloß die Werke derjenigen Komponisten, welche im gegenwärtigen Jahrhundert geblüht haben, als Fux, Telemann, Händel und Porpora. Von dem andern hat Herr Gassmann den Schlüssel, und der versprach mir, mich den folgenden Tag hinzuführen. Der Rest von diesem Archiv befindet sich auf der öffentlichen Bobliothek.
Alle Mittage und Abende, in dem Gasthof zum goldnen Ochsen, worin ich abgetreten war, Musik; aber gewöhnlich war sie schlecht, besonders die von eine Bande mit blasenden Instrumenten, welche niemals fehlten, sich während des Tisches einzustellen. Diese bestund aus Waldhörnern, Clarinetten, Hoboen und Bassons; alle so jämmerlich verstimmt, dass ich sie auf hundert Meilen verwünschte.
Überhaupt habe ich das feine Gehör bei den deutschen Gassenmusikanten nicht gefunden, welches ich bei Leuten von eben der Classe in Italien angetroffen habe. Dass die Orgeln hier in den Kirchen fast niemals rein gestimmt sind, das kann an der Sparsamkeit oder Nachlässigkeit der Geistlichen, der Bischöfe oder Vorstehern der Kirche oder Klöster liegen; wenn aber die Gassenmusikanten mit ihren Instrumenten nicht zusammen stimmen, so muss der Fehler an ihnen selbst und ihrem stumpfen Gehör liegen.
Es ist vielleicht schwer zu bestimmen, was für eine Art von Luft der Fortpflanzung des musikalischen Schalles am vorteilhaftesten ist; ob dicke, dünne, feuchte oder trockne? Und wenn dies auch ausgemacht wäre, so könne noch die Frage sein, in was für eine Art von Luft die Musik am vorteilhaftesten zu hören sei, weil es wohl möglich sein könnte, dass die Luft, welche, im Abstractu betrachtet, der Fortpflanzung des Schalles am vorteilhaftesten, eben auch die Organe, mit welchen sie vernommen wird, weniger empfindlich machte.
Donnerstag, den 10ten
…
Vom Signor Mancini eilte ich zu Herrn Gassmann, welcher mich erwartete, um mich nach der kaiserlichen musikalischen Bibliothek zu führen. Ich fand da selbst eine ungeheure Sammlung von musikalischen Schriften, aber in solcher Unordnung, dass ist ihr Inhalt fast gänzlich unbekannt ist. Indessen hat Herr Gassmann angefangen ein Verzeichnis davon aufzunehmen, und hat von dem Kaiser das Versprechen, dass diese Bücher einen bequemeren und größeren Saal bekommen sollen, als den gegenwärtigen, in welchem sie in möglichste Unordnung, vermischt aufeinander gethürmt liegen. Dennoch fand ich viele seltene Sachen vom Ursprunge des Contrapunkts an, bis an die gegenwärtige Zeit. In der That ist der Musikalien, welche der Kaiser Leopold gesammelt hat, und welche alle in weiß Pergament mit seinen Wappen auf dem Rücken, gebunden sind, eine fast unglaubliche Anzahl. Sie scheine alles zu enthalten, was zu der Zeit in Italien und Deutschland gemacht worden. An Opern in Partitur mit ausgeschriebenen Stimmen ist eine solche Menge vorhanden, dass das bloße Verzeichnis von denen, die an diesem Hofe aufgeführt sind, schon einen Band in Folio ausmachen würde.
Herr Gassmann hat mich versichert, dass er bei der Verfertigung eines vollständigen Verzeichnisses, alles bemerken wird, was er in dieser Sammlung, sowohl in theoretischen sowie praktischen seltenes findet, um mir davon in Briefe Nachricht zu geben. Zu diesem Ende verlangte er meine Adresse in England, die ich auf ein Pergament aufschrieb und in der Bibliothek ließ.
… nachher ging ich nach der Oper, wo Gassmann am Flügle seine eigene Komposition auf dem Flügel dirigierte. Ob seine mir den Vormittag erwiesene Höflichkeiten einen geheimen Einfluss auf mein Gemüth und meine Ohren hatte, kann ich nicht sagen; allein diese Musik gefiel mit viel besser als irgendeine andere von seinen Kompositionen, die ich vorher gehört hatte. Ich bemerkte einen Contrast, eine Entgegensetzung und Verschiedenheit von Taktarten und Passagien, da die eine immer die andere bis zum Entzücken in ein vorteilhaftes Licht setzte; und die Instrumentalstimmen waren mit Einsicht und Urtheil gearbeitet.
Eine Arie von Clementina Baglioni, und ein zankendes Duett zwischen ihr und der zweiten Sängerin, die eine Deutsche war und wirklich nur mittelmäßig sang, müssten auf Verlangen der Zuhörer wiederholt werden. Die Mannspersonen, die heute sangen, gefielen mit besser, als die welche ich vorher gehört hatte, ein Tenorist besonders zeigte viel Geschmack und hatte eine angenehme, obwohl nicht sehr ausgebildete Stimme.
1 BURNEY, Charles. Carl Burney’s der Musik Doctors Tagebuch seiner Musikalischen Reisen. 2. u. 3. Band, deutsch von Johann Joachim Christoph Bode, Hamburg, 1773, S. 245–7, 252.