Eroica und das Schlosstheater

aus dem Artikel:

BRAUNEIS, Walther. "-composta per festeggiare il sovvenire di un grand Uomo": Beethovens "Eroica" als Hommage des Fürsten Franz Joseph Maximilian von Lobkowitz für Prinz Louis Ferdinand von Preußen. In: Ferdinand OPLL, Karl FISCHER ed. Studien zur Weiner Geschichte 1996-1997(52/53). Wien: Selbstverlag des Vereins für Geschichte der Stadt Wien, 1997, S. 53–88.

(...) Zur Aufführungsgeschichte der „Eroica“ war über fast 180 Jahre nur konkret das Datum und der Ort der ersten öffentlichen Präsentation bekannt. Es war der 7. April 1805, an dem die Symphonie am Schluss eines monströsen Konzertprogrammes zu Gunsten des Konzertmeisters Franz Clement im Theater an der Wien unter der Leitung Beethovens erklungen war. Anfang der achtziger Jahre war es dem Prager Musikwissenschaftler Tomislav Volek bei der systematischen Aufarbeitung der Musicalia im Lobkowitzschen Familienarchiv in Žitenice gemeinsam mit Jaroslav Macek gelungen, sich über einen Rechnungsbeleg der Wiener Hauptkassa dem Zeitpunkt der Erstaufführung der „Eroica“ anzunähern. Am 9. Juni 1804 hatte der fürstliche Kapellmeister Anton Wranitzky die Auslagen für Proben und Aufführungen der Oper „Angiolina“ von Antonio Salieri in fürstlichen Haustheater abgerechnet. Neben den sechs ständigen Mitgliedern der Hauskapelle des Fürsten (Violinen, Violen, Violoncelli) umfasste das 21 Mann bestehende Orchester damals an Instrumenten noch weiter vier Violinen, zwei Violen und zwei Kontrabässe sowie zwei Flöten, Oboen, Klarinetten, Fagotte, Hörner, Pauken und Trompeten. Insgesamt bestand das Orchester von 27 Musikern. Ganz nebenbei werden in dieser Abrechnung dann auch die Auslagen für zwei Orchesterproben vermerkt, in denen noch ein zusätzlicher Musiker ausdrücklich erwähnt wird:

Item Prob vom Bethowen seiner Sinf: und Conc:
dasselbe Orghester bis noch auf ein
drittes Corno – folglich 22 Personen p[er]                            2 f             44 f
Zulag für ersten Contrebass                                                1 f


Item dieselbe Prob von Bethowen v[on] 22 Personen       p[er] 2 f      44 f
Zulag für Contrebass u Instrument-Tragen für 2 mal                             3 f

Aus der Erwähnung eines in der Orchesterbesetzung damals gänzlich unüblichen dritten Horns ist völlig zweifelsfrei zu erschließen, dass die „Eroica“ gemeint war. Der Zeitpunkt der beiden Orchesterproben ist entsprechend den ständigen Abrechnungsmodalitäten der Lobkowitzschen Zentralverwaltung zwischen Ende Mai und Anfang Juni einzugrenzen. Eine „Production“ also eine Aufführung der Symphonie, wird in den Rechnungsbelegen nicht erwähnt. In letzter Zeit wurde versucht, diesen beiden Proben den Charakter einen „work in progress“ abzusprechen und sie als Privataufführungen im allerengsten Kreis des Fürsten einzustufen. Und dies, obwohl durch Anton Wranitzky ganz eindeutig statt der für solche Aufführungen üblichen Bezeichnung „Production“ der Terminus „Prob“ verwendet wurde und den Musikern statt der sonst bei Aufführungen vorgesehenen drei Gulden nur die Proben übliche Entschädigung von zwei Gulden ausbezahlt worden war.

Tatsächlich scheint Beethoven durch Lobkowitz die Möglichkeit erhalten zu haben, seine symphonische Werke unter Konzertähnlichen Bedingungen vor ihrer Erstaufführung oder der Drucklegung zu hören, um allenfalls noch Änderungen vornehmen zu können. Dieses Ringen um die endgültige Form lässt sich auch anhand eines Rechnungsbelegs der Wiener Hauptkassa im Lobkowitzschen Familienarchiv nachvollziehen. Unter dem 18. Juni 1804 verrechnet nämlich der Hoftheaterkopist Wenzel Sukowaty noch vor dem Aufführungsmaterial für Salieris „Angiolina“ entsprechend seinem Auftragsbuch die „Sinfonia di Bethoven das letzte Tempo mit allen Parten“ und danach „zur detta das erste Tempo“. Während für den zweiten und dritten Satz die Stimmen längst ausgeschrieben waren, feilte Beethoven demnach noch am Finale, das las wagemutigste formale Experiment der gesamten Symphoniegeschichte bezeichnet werden kann. Und erst ganz zum Schluss wurde die Partitur des ersten Satzes zum Ausschreiben der Orchesterstimmen freigegeben.

Dieses Zögern erklärt sich aus der Unentschlossenheit Beethovens über die Wiederholung der 151 Takte langen Exposition im ersten Satz, die – mit ein Grund für die bis dahin nicht gekannte Länge einer Symphonie – von Beethoven in seinem „Handexemplar“ vorerst gestrichen und nach mehrmaligen Anhören dann noch belassen wurde, wie sein Bruder Kaspar Karl am 12. Februar 1805 an das Leipziger Verlagshaus berichtet: „Mein Bruder glaubte anfangs, ehe er die Symphonie noch gehört habe, sie wurde zu lang seyn wenn der erste Theil des ersten Stücks wiederholt wurde, aber nach öfterer Aufführung derselben fand es sich, daß es sogar nachtheilig sey, wenn der erste Theil nicht wiederholt würde.“

Von einer anderen derartigen Probeaufführung, nämlich der zu „Schicksalssymphonie“, ist auch in einem bisher kaum beachteten Reisebericht in der belgischen Tageszeitung „Indépendence Belge“ fünf Jahrzehnte später zu lesen: „Fürst Lobkowitz war Beethovens Mäzen und Freund. Er unterhielt eine vokale geistliche Musik, die einigermaßen mit der des Kaisers konkurrieren konnte und ein wohlklingendes Orchester, eigens gegründet um Beethovens Werke vor ihrer Veröffentlichung zu probieren. Die Person, die mir diese Details erzählte, hatte dem Fürsten während der ersten Probe der Symphonie in c-moll assistiert, wie es kaum mehr üblich ist. Beethoven war außerordentlich schwierig was die Aufführung seiner Werke anbelangte. Die Probe hatte sich bis spät in den Abend gezogen und der berühmte Meister ließ unentwegt Passagen weiderholen, deren Wiedergabe ihm nicht gefiel. Die Musiker murrten, nicht so sehr wegen der Müdigkeit, sondern weil die Zeit des Abendessens schon längst überschritten war, und ich habe ihnen vorhin berichtet, dass die Wiener keinen Spaß verstehen, was die Mahlzeiten anbelangt. Der Fürst lies daher allerlei Speisen auftischen und zahlreiche Körbe mit Champagnerwein herbeibringen, die die Ausführenden zwischen zwei Abschnitten der Symphonie genossen. Danach wurde die Probe mit doppeltem Engagement wieder weitergeführt.

Zeitlich wäre dies Probe in das Jahr 1808 einzureihen. Beethoven stand also auch damals ein von Lobkowitz finanziertes und sicherlich durch seine Hauskapelle verstärktes Orchester für Probeaufführungen zur Verfügung. Nach wie vor war er darin allerdings von der Gunst seines fürstlichen Mäzens abhängig. Dies schien sich für Beethoven dann ein Jahr später zu ändern, als ihm vom Erzherzog Rudolph von Österreich, Ferdinand Fürst Kinski und Fürst Lobkowitz durch eine großzügige, vertraglich abgesicherte Apanage seine künstlerische Unabhängigkeit garantiert wurde. Seinem Freund Ignaz von Gleichenstein schreibt er in der ersten Februarhälfte 1809 dazu: „aus allem erhellt, dass ich dem Wichtigstem Zwecke meiner Kunst Große Werke zu schreiben ganz obliegen zu können auch ein Orchester zu meiner Disposition.


Die Erstaufführung in dem Lobkowitzschen Schloss Eisenberg in Böhmen im August 1804

Etwa sechs Wochen nach der beiden „Eroica“-Proben findet sich in dem Postporto-Journal der Lobkowitzschen Zentralverwaltung ein Brief Beethovens vom 21. Juli 1804 an den Fürsten verzeichnet, der allerdings nicht erhalten ist und über dessen Inhalt nur gemutmaßt werden kann. Möglicherweise ging es in diesem Brief um die geplante Erstaufführung der „Eroica“. Allgemein lag bislang der Januar 1805 als Zeitpunkt der ersten Aufführung beim Lobkowitz. Dass Beethoven die Aufführung seiner neuen Symphonie selbst geleitet hätte, galt als selbstverständlich. Als Aufführungsort wurde das Stadtpalais des Fürsten in Wien genannt.
Völlig neue Erkenntnisse vermittelt eine von dem tschechischen Historiker Jaroslav Macek entdeckte Sachaufwandsrechnung der fürstlichen Hausverwaltung. In dieser Kostenzusammenstellung vom 14. August 1804, in der die Ausgaben seit der letzten Rechnung vom 2. August aufgeschlüsselt sind, findet sich nach Jaroslav Macek die Eintragung: „Für weitere Kerzen anlässlich der Ausführung der neuen Symphonie von Beethoven 6 fl“. Mit dieser „neuen Symphonie“ ist unzweifelhaft Beethovens „Eroica“ genannt. Damit erklärt sich auch ganz zwanglos die auf dem Titelblatt von Beethovens „Handexemplar“ seiner „Sinfonia grande“ eingefügte Datierung „[1]804 im August“ als Hinweis auf den Zeitpunkt der Erstaufführung. Allerdings nicht ablesbar ist aus dem Rechnungsbeleg, in welcher der Lobkowitzschen Residenzen die „Eroica“ erstmals aufgeführt worden ist. Jaroslav Macek geht davon aus, dass diese Aufführung in Wien im Stadtpalais des Fürsten stattgefunden hätte.

Nach einem stets gleichbleibenden Reglement verließ Fürst Lobkowitz alljährlich zu Beginn des Sommers die Haupt- und Residenzstadt Wien, um sich vorerst nach Schloss Eisenberg (heute Jezeří) nordwestlich von Brüx (heute Most) zu begeben. Im Herbst wurde die Hofhaltung nach Schloss Raudnitz an der Elbe (heute Roudnice nad Labem) verlegt. Zwischendurch ließ sich Lobkowitz kurzfristig manchmal in Prag in dem alten Renaissancepalast seiner Vorfahren in der Georgsgasse in Hradschin (heute Hrad I 3, II 3, Jiřská 104) auf. Sommer und Herbst waren ausgefüllt mit Konzerten und Opernaufführungen. Die fürstliche Hofkapelle, oftmals verstärkt durch Dilettanten, musizierte unter Anton Wranitzky und Antonio Cartellieri. Der Chor stellte man aus dem Hauspersonal, der Dienerschaft und der Bevölkerung zusammen. Darüber hinaus verliehen Spitzenkräfte aus Prag, Wien und Dresden den Darbietungen besonderen Glanz. Spätesten im Laufe des Novembers kehrte der Fürst wieder nach Wien zurück.
Diese zeitliche Abfolge wurde auch 1804 eingehalten, wie Meldungen in der „Prager Oberpostamtszeitung“ und in der „Wiener Zeitung“ bestätigen. Am 6. August war nämlich der schwedische König, der als Graf von Haga das Königreich Böhmen bereiste, mit seinem Gefolge von Teplitz (heute Teplice) nach Eisenberg gekommen und vom Fürst mit allen Ehern empfangen worden: „Abends wurde eine Oper gegeben, welche Herr Paer Kapellmeister am Chursächsischen Hofe, mit seiner Gemahlin, die Herren Brizzi, Banquier Bridi, und einige anderen Diletanten in der Eile einstudiert hatten“. Am folgenden Morgen wird König Gustav Adolph verabschiedet.

Schloss Eisenberg galt der Zeitgenossen als „Musensitz“. 1802 hatte Lobkowitz den barocken Ovalsaal im Südflügel der eindrucksvollen Schlossanlage zu einem vielbeachteten Theater- und Konzertsaal umgestalten lassen. Charles Sealsfield, alias Karl Postl, hat 1828 das Schloss in seinem kritischen Reisewerk, „Austria as it is“ eingehend gewürdigt. „Stolz ragt das Schloss, ein rechteckiger, dreistöckiger Bau mit kuppelgekröntem Eckpavillon aus einer Waldlichtung empor. Zwei von ionischen Säulen getragene Balkone zieren seine Vorderseite, und eine doppelte Freitreppe führt in die prachtvoll eingerichteten Räume des ersten Stockwerkes, die ausschließlich der fürstlichen Familie dienen. Der zweite Stock ist Fremden vorbehalten, die hier, selbst in Abwesenheit des Schlossherrn, mit größter Gastfreundschaft angenommen werden. […] Der Rundblick von dem Schloss ist prachtvoll. Im Westen erschaut man die Sudeten, das Reich Rübezahls, gegen Norden das Erzgebirge, und im Süden öffnet sich dem Blick das schöne Böhmerland, bedeckt mit Ruinen, Schlössern, Städten und Dörfern.“ Und Fürst Charles de Ligne, ein ständiger Gast auf den böhmischen Landschlössern des Fürsten, schwärmt: „Quelles belles chases et supérbes opéras à Eisenberg“. Bemerkenswert sein Vergleich mit dem Schloss der Familie Waldstein: „Immenses Haus, und eigentümlich auf eine andere Art als beim Nachbarn Lobkowitz mit seinen vierhundert Beschäftigten, vierzig italienischen und deutschen Histrionen, die er ernährt um Opern aufzuführen für seine Kammerdiener, seine Jäger und seine Bauern, denn Eisenberg ist nicht einmal ein Dorf, sowie zwei oder drei Mitglieder unserer Gesellschaft, die die Dummheit besaßen dorthinzugehen, um in der Nacht [nach Teplitz] zurückzukehren und manchmal noch dafür bezahlen.“ Heute bieten Schloss und Umgebung einen trostlosen Anblick, verursacht durch die nordböhmischen Kohlengruben, die den einstigen „Garten Böhmens“ in eine Mondlandschaft verwandelt haben.
Da für die zweite Augustwoche 1804 keinerlei Nachrichten über eine kurzfristig angesetzte Reise des Fürsten nach Wien bekannt sind, darf mit einer an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit angenommen werden, dass er sich während Sommermonate wie üblich in Eisenberg aufgehalten hat und sich den Kerzenbeleg für den zusätzlichen Kerzenkauf auf diese Residenz bezieht. Folglich hatte auch nicht Beethoven sondern der fürstliche Kapellmeister Anton Wranitzky aus der Taufe gehoben. Beethoven hielt sich nämlich zu diesem Zeitpunkt nachweislich in Döbling bei Wien auf. Der noch heute erhaltene Festsaal wäre demnach die Stätte der Erstaufführung von Beethovens „Eroica“ und konnte zurecht als „Eroica-Saal“ bezeichnet werden. Ermöglicht wurde Präsentation dieser Symphonie vor allem durch die aus Prag engagierten Orchestermusiker, die 1804 – und dies ist ein absoluter Einzelfall – dem Fürsten den ganzen Sommer über zur Verfügung standen. Mit solchen Berufsmusikern konnte kurzfristig eine Oper aufgeführt und auch eine gänzlich neue Symphonie einstudiert werden. (...)

Walther Brauneis

(aus dem Artikel: BRAUNEIS, Walther. "-composta per festeggiare il sovvenire di un grand Uomo": Beethovens "Eroica" als Hommage des Fürsten Franz Joseph Maximilian von Lobkowitz für Prinz Louis Ferdinand von Preußen. In: Ferdinand OPLL, Karl FISCHER ed. Studien zur Weiner Geschichte 1996-1997(52/53). Wien: Selbstverlag des Vereins für Geschichte der Stadt Wien, 1997, S. 53–88.)