Die verlorene Orgel aus der Kirche zum Erzengel Michael in Blatno kehrt nach Hause zurück
16. 5. 2022
Es war einmal… So fangen alle schönen Geschichten an. Und die meisten haben ein Happy End. Wie unsere. Hoffentlich.
Für mich beginnt diese Geschichte vor sieben Jahren, als Pilsen 2015 Europäische Kulturhauptstadt war. Das Deutsche Kulturforum östliches Europa hatte mich als Stadtschreiberin in die westböhmische Hauptstadt entsandt. Zu meinen Blog-Dates gehörte auch das sommerliche Barockfestival, mit vielen Konzerten in der ganzen Region. Ende Juli stand eine Veranstaltung in der Wallfahrtskirche in Planá auf dem Programm, mit Alena Hönigová – der Dramaturgin der Quinauer Musikfesttage – als Protagonistin. Nach mehreren Stücken auf dem Cembalo stieg sie, klein und schmal in einem dunkelroten Seidenkleid (ich kann mich noch genau daran erinnern) zur mächtigen, zweimanualigen Barockorgel auf der Empore hinauf.
Mit Alena bin ich seither in engem, freundschaftlichem Kontakt geblieben. Aber ich wusste damals noch nicht, dass ich auch dieser in Planá aufgebauten Orgel indirekt wieder begegnen würde. Und zwar in Blatno, beim Musikfestival im August dieses Jahres. Die Welt ist eben klein.
Die Orgel, auf der Alena damals in Planá improvisierte, war im Jahr 1732 von Leopold Burkhardt gebaut worden, einem deutschen Instrumentenmacher, der sich in Elbogen/Loket niedergelassen und eine Orgelbauschule eröffnet hatte. Das egerländische Städtchen war – das darf man nicht vergessen – im 18. Jahrhundert ein reges Orgelbauzentrum, hier waren zur Blütezeit dieses anspruchsvollen, rentablen Handwerks mehrere Orgelbauerdynastien tätig – wie die Starck, die Burkhardt und andere.
Der 1727 geborene Tischlersohn Johann Georg Ignaz Schmidt – und jetzt kommen wir endlich auch zu unserem Thema – hatte eine (oder vielleicht mehrere) dieser Orgelbauwerkstätten in Elbogen/Loket besucht. Er war 1727 geboren, war der Sohn eines einheimischen Tischlers und somit im Umgang mit Holz vertraut. Und das Wissen um die verschiedenen Holzarten und ihre Merkmale ist für einen Orgelbauer von eminenter Bedeutung. Er muss sich auskennen auf diesem Gebiet, muss wissen, dass Fichte, Eiche und Ahorn sich für Gehäuse und Resonanzkörper eignen, Ebenholz, Palisander und Mahagoni für die Tasten.
Johann Georg Ignaz Schmidt lebte – das stellen wir uns vor – in einem dieser schönen, ebenerdigen Häuser, wohl im Stadtzentrum, vielleicht am Hang des Burghügels, vielleicht an der jungen, sich um den Felsen schlängelnden Eger. Er war – so wissen es die Chroniken – zweimal verheiratet und hatte sieben Kinder. Er mochte anfangs Möbel angefertigt haben, dann Spinnräder, sicher Klaviere. Wer weiß. Und als Dreißigjähriger begann er seine ersten Orgeln zu bauen. Insgesamt mehrere Dutzend Instrumente für Kirchen, Kapellen und Klöster der näheren und weiteren Umgebung.
In Blatno, einem 80 Kilometer von Elbogen/Loket entfernten Ort ebenfalls im Erzgebirge, wurde 1784 die Kirche zum Erzengel Michael eingeweiht, ein Bau von Johann Wenzel Kosch im ländlich geprägten, recht schmucklosen Spätbarock. Und hier wurde die von Schmidt konstruierte Orgel eingebaut. Jahrzehntelang versah sie getreulich ihre Dienste bei den sonntäglichen Gottesdiensten, bis nach dem Zweiten Weltkrieg Kirche und Orgel vernachlässigt wurden.
Und nun beginnt das vorletzte Kapitel dieser Orgelgeschichte, die auf ein Happy End wartet. Zu kommunistischer Zeit verschwindet (das war damals möglich) die Orgel spurlos aus der Michaelskirche in Blatno, geht durch verschiedene Werkstätten in Tschechien, bis sie schließlich in Deutschland landet. Bei Kristian Wegscheider, einem renommierten Orgelbaukünstler und alternativen Kunstmentor, der sie teilweise restauriert.
Eine Kirche in Deutschland ist von der Orgel aus Blatno angetan, aber das Geschäft geht nicht über die Bühne. Sogar in Amerika, angeblich im Musical Instrument Museum in Phoenix, finden sich Interessenten für diese rare historische Orgel aus Mitteleuropa. Aber auch diese Transaktion klappt nicht. Vielleicht auf ein Veto von „oben“ hin…
Die Barockorgel aus Blatno ist inzwischen ins Gespräch gekommen und erregt Aufsehen. Kristian Wegscheider redet mit Marek Vorlíček, einem angesehenen tschechischen Orgelrestaurator, und die Notiz kommt auch Iveta Houfová-Rabasová zu Ohren, der Bürgermeisterin von Blatno. Sie ist begeistert von der Idee, dass die Schmidt-Orgel nach rund 240 Jahren wieder an ihren ursprünglichen Standort in der Michaelskirche in Blatno zurückkommen könnte. Eine Sensation! Sie ist eine tüchtige Administratorin, klopft an alle Türen. Denn für dieses Unternehmen braucht es Geld. Viel Geld.
Der erste Teil der Orgel befindet sich – einstweilen provisorisch – schon in Tschechien, in der Region von Karlsbad. Denn vor der endgültigen Restaurierung der Kirche in Blatno muss das Instrument ja irgendwo deponiert werden.
So lässt das Happy End dieser Geschichte, die einem Märchen gleicht, noch etwas auf sich warten.